Mein Kommentar zu den [nächsten] Organisationen in der Digitalen NetzGesellschaft
Wie müssen Organisationen (heute) im Kontext einer nächsten - vom Computer geprägten Gesellschaft - gedacht, entworfen, beraten und letztendlich auch gemanagt und geführt werden?
Ein ehemaliger Kollege berichtete vor vielen Jahren, wie Peter Senge auf einen ähnliche Frage geantwortet hatte. Der Überlieferung nach ging er ans Flip Chart und malte ein wildes Knäuel aus Linien und Punkten. Eine gelungene Irritation und das Web der so genannten zweiten Generation war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal "erfunden".
Pluralisierung von Koordinationslogiken
Von der göttlichen Ordnung ("Hierarchie") zum wilden Knäuel, ist das die Richtung für die nächste Organisation? Jedenfalls fordert der global vernetzte Computer die klassischen Koordinationsformen heraus und setzt damit die Organisationsform sowohl industrieller als auch ministerieller Bürokratien unter Veränderungsdruck. Doch was sind die Alternativen zur Pyramide? Schon wird von findigen Beratern die Netzwerkorganisation ausgerufen und, je nach Situation, ein sportliches Umschalten zwischen Netzwerk und Hierarchie als Lösung proklamiert. Ganz so einfach wird es wohl nicht gehen - und - eine weitere, etablierte Koordinationsform wird dabei komplett vergessen: die Märkte. Sie existieren im Plural, sowohl außerhalb als auch innerhalb von Organisationen. Marktlogik ermöglicht eine weitreichende Kontrollvereinfachung, optimiert aber in den meisten Fällen lokal und kurzfristig. Es entstehen die organisationalen Silos, denen beispielsweise der Organisationpsychologe Rensis Likert (der mit der Fragebogenskala!) schon vor 50 Jahren mit seine "linking pins" einen Kompensationsmechanismus an die Seite stellen wollte.
Bleiben wir zunächst bei den erwünschten Wirkungen des Eindringens von elektronischen Vernetzungstechnologien in Organisationen. Gemeint sind soziale Medien, social media, social software, oder einfach ein substantiviertes "Social", wie es mittlerweile in der angelsächsischen Sprachgemeinschaft anzutreffen ist.
Transparenz und Informationsflut
Setzt man soziale Firmensoftware (enterprise social software) ein, so tendiert diese hin zu einer Öffnung von Informationen. Das muss zumindest dann so sein, wenn man selbstorganisierende Vernetzung organisieren möchte. Um Missverständnissen vorzubeugen: der Glaube, dass dadurch kurzfristig alle Informationen in Unternehmen für alle Mitarbeiter zugänglich wären ist so naiv, wie Aussagen über "alles und jeden" in sozio-technischen Zusammenhängen falsch sind. Andererseits kann man anmerken, dass die mutigen Interventionen einiger Vorreiter genau in Richtung "schonungslose Offenheit" gehen. Doch auch beim vermeintlich kontrollierten Einsatz von sozialer Firmensoftware entsteht ein mehr an Transparenz, auch und gerade über Beziehungen. Dabei handelt es sich um digital nachvollziehbare Verknüpfungen von Personen und nicht um dunkle Netzwerke oder verborgene Seilschaften. Ein Umstand, der wünschenswert erscheint. Der Preis dafür ist, dass wir uns einer nie da gewesenen Informationsflut gegenüber sehen und selbst scharfe Selektionskriterien entwickeln müssen, wem und was wir Aufmerksamkeit schenken wollen. Need-to-know funktioniert(e) eben nur dort (halbwegs), wo noch an "höherer" Stelle über Relevanz von Informationen sinnvoll unterschieden werden kann. Für den Wissensarbeiter ist Filtersouveränität der geeignetere Imperativ. Dabei hilft es, grob zwei Arten von Informationsströmen zu unterscheiden: Den, über schwache Bindungen vorgefilterten, reißenden Strom an potenziell-relevant peripherer Information einerseits und die Fragmente, auf die wir uns zum tiefen Verständnis fokussieren müssen andererseits.
Koordinationslogiken und weitere Herausforderungen
Doch zurück zu den oben angesprochenen Koordinationsformen. Von denen fehlt hier noch eine, die sich denkbar schlecht als unmittelbare Interventionskandidatin eignet: die Unternehmenskultur. Ihren Wandel abzuwarten oder gar zu "designen" fordert nur, wer sowohl das Wesen von Organisationskulturen generell als auch deren Wechselwirkung mit Technik ignoriert. Auch simple mechanische Rezepte vom Typ Tütensuppe (Gunter Dueck hat da eine wunderbare Metapher geschaffen) kann es für auf dem Weg zu den nächsten Organisationen nicht geben.
Mein Wunsch für ein Nachdenken über neue Organisationsformen wäre die explizite Einbeziehung der "harten Nüsse" wie:
- der oben angesprochene Pluralismus von Koordinations-"Mechanismen",
- Konfliktformen und Muster zu deren konstruktiver Lösung,
- die Haltung zu Machtspielen, Mikropolitik und Ideenklau, idealerweise im Zusammenhang mit der "neuen Transparenz",
- die Frage nach Veränderungen in Gehaltsgefügen sowie
- die Gestaltung wirksamer Partizipation an Entscheidungen.
Eine Übung könnte sein, sich Organisationen entlang ihrer zeitlichen Entwicklung vorzustellen, quasi vom Startup bis zum größeren Mittelstand und - retrospektiv, projektiv, wie auch immer - sich den Umgang mit den tabuisierten Phänomenen zu erzählen. Das Spätwerk des eingangs erwähnten Rensis Likert, 1976 mit seiner Frau verfasst, bekam übrigens den Titel: New Ways of Managing Conflict.