An anderer Stelle wurde der Schulmeister's Text schon kritisiert, ansatzweise rezensiert und kommentiert. Auch in diesem Fall findet die Diskussion verteilt statt und nicht in einem "Thread". Das mag man nun aus Gründen der Lesbarkeit bedauern, ich möchte es als Einstieg in meine Kritik verwenden. Denn wenn man verstanden hat, dass und warum Weblog-Besitzer längere Fragmente (;-) lieber im eigenen Blog als Beitrag verfassen und nicht im Kommentarfeld anderer Weblogs, relativiert sich so manche Aussage über die vermeintlich fehlende Kommentarkultur.
Weblogs sind die Homepages / Webpräsenzen des sogenannten Web 2.0. Es muss deshalb meines Erachtens auch nicht versucht werden, diese technisch-funktional durch eines oder mehrere Kriterien von "normalen Websites" abzugrenzen. Eine Kommentarfunktion ist in Weblogs also üblich und erwartbar, keineswegs aber "konstitutiv". Vielleicht ist es für Beobachter der Szene einfacher, Weblogs schlicht als "Möglichkeit zum persönlichen Publizieren" zu verstehen.
Wie und wozu die Möglichkeit genutzt wird, steht zunächst jedem Blogger frei. Und so ist es wohl auch nicht schlüssig, einem Wissenschaftler zu unterstellen, er oder sie würde "wissenschaftlich bloggen" oder gar kommentieren. Frank formuliert dies sehr vornehm: ". wegen der normativen und damit streitbaren Prämissen (Edublogger sind diskursorientiert) ." und sieht darin "kein Vergehen, sondern einen wohl sportlich gemeinten Trick, um den von ihm attestierten Mangel an Kommunikationskultur 'anzuheizen'.
Dann würde ich aber eine Beteiligung des Protagonisten an diesem Diskurs erwarten!
Aber, ich schweife ab und versuche es nochmals über die Methodenkritik.
- Zunächst der Einstieg Schulmeisters über die Blogroll. Der macht ihm ja dann selbst Probleme und ist meines Erachtens überhaupt nicht notwendig. Wenn er ohnehin auf Kommentare abzielt, hätte er einen Einstieg über das Kommentarnetzwerk wählen können, also über die Personen, die bei Gabi (häufier) kommentieren oder bei denen sie (häufiger) kommentiert. Letztlich läuft seine Analyse ja auch darauf hinaus. Blogrolls bieten für die Weblogs-Besitzer selbst kaum funktionalen Mehrwert, weshalb viele Blogger wohl auf ihren Einsatz verzichten.
- Der zweite Kritikpunkt (vgl. Kerres hier) betrifft die Tatsache, dass Weblogs (heute) häufig Teil eines ganzen Systems von Medien/Werkzeugen sind und Kommentare nur einen Teil der Rückkanäle darstellen. Richtig, das sollte beim Forschungs-Design, mindestens aber bei der Interpretation der Ergebnise berücksichtigt werden. Allerdings steigt der Aufwand für eine solche "informations-ökologische" Forschung mit jedem untersuchten Kanal an. Zumindest hätte man aber nach solchen alternativen Rückkanälen fragen können.
- Und das bringt mich zum dritten methodischen Kritikpunkt.
Die Absicht, zusammen mit den anderen die eigenen Wissensbestände zu erweitern und zu neuen Erkenntnissen zu kommen, steht nicht im Zentrum des Blogging-Alltags.
Wessen Absicht? Vermutlich die des Weblog-Besitzers. Wenn Verwendungszwecke von persönlich verfügbaren und (flexibel einsetzbaren) Medien für die Forschung ein Rolle spielen, dann kommt man um eine Befragung der "User" kaum herum. Das muss um Himmelswillen kein Fragebogen sein! In der Kombination aus Befragungsergebnissen und Webloginhalten lassen sich dann die Verwendungszwecke rekonstruieren. Dazu müsste man zu den "Beforschten" Kontakt aufnehmen. Letzteres halte ich nicht nur aus methodischen Gründen für sinnvoll. Natürlich ist es legitim, sich der Internetinhalte "einfach" zu Forschungszwecken zu bedienen. In einem "strong-tie-network" kommt das vermutlich nicht immer gut an (Zitat: "huch, ich werde beforscht").
Jenseits dieser Methodenkritik stehe ich jedoch voll hinter einem formalen, textanalytischen Herangehen an Weblog-Inhalte mit Indikatoren wie Beitragsfrequenz, Textlänge, Kommentare pro Beitrag, Hyperlinks pro Beitrag usw. Diese Maßzahlen können sogar informationstechnisch unterstützt erhoben werden und auch als Auswahlkriterium für Einzelfälle dienen, mit denen man sich dann genauer beschäftigt. Hier hat Schulmeister also meine volle Sympathie ;-) Genauso bei der schwierigen Frage, welche Beiträge mehr oder weniger Kommentare stimulieren. Auf die habe ich auch noch keine befriedigende Antwort gefunden.
Dass sowohl Beiträge als auch Kommentare sich häufig gegenüber einer eindeutigen (warum wird das überhaupt noch angestrebt?) Einordnung widersetzen, könnte auch als Ergebnis gedeutet werden. Hier sind die "richtigen" Kategorien offensichtlich noch nicht gefunden. Doch auch in einem passenden Kategoriensystem könnte es systematisch(!) zu Mehrfachzuordnung kommen. Gerade das kann zu Erkenntnissen führen. Unweigerlich kommt mir Weinberger in den Sinn, mit seinem "Ende der Schublade".
Auch eine gewisse Verklärung der "threaded discussions" (die guten alten Newsgroups) begegnet mir nicht zum ersten Mal. Geht es wirklich nur mir so, aber ich finde die verzweigten Bäume eher verwirrend und erlebe sie keineswegs kohärent und präzise.
Ein paar Details sind mir noch aufgefallen:
"soziale Fühlungsname"
Ich würde den Begriff Vernetzung bevorzugen, gerade wenn auf Social Software rekurriert wird.
. möglicherweise sagen, dass journalistische, politische und Corporate
Weblogs eher dem Informationsmanagement verpflichtet sind .
Da habe, zumindest ich, die Dreiteilung anders verstanden. Informationsmanagement meint doch die Handhabung und Organisation verfügbarer Informationen für eigene Zwecke. In den früheren Texten von Jan Schmidt ist das leider auf das Lesen (Stichwort RSS) anderer Quellen eingeschränkt. In einer moderneren, erweiterten Sichtweise (s. bspw. hier, bei mir ;- bzw. hier) sollten auch andere Formen der Bearbeitung als persönlich relevant erachteter Informationen eingeschlossen werden.
Die von Spannagel freimütig vorgebrachten Berichte über seine interaktiven Lehrversuche wirken so, als würde hier Hochschuldidaktik aus eigenem Erleben neu entstehen. Der Bezug zur eigenen Praxis, die spontan wirkende Reflexion, unbelastet durch pädagogische Theorien (allerdings auch unbelastet von vierzig
Jahren hochschuldidaktischer Forschung) - diese Faktoren mögen entscheidend dafür sein, warum sich zu diesen Themen so viele lobend, dankend und staunend äußern.
Der emotionale Teil des Diskurses liegt sicher in dieser provozierenden Formulierung begründet. Solche Kritik sollte nun wirklich Texten vorbehalten sein, die explizit einen wissenschaftlichen und zudem theoretischen Anspruch erheben. Für Weblogs, selbst die von Wissenschaftlern, trifft das wohl nicht automatisch zu. Vielleicht wird der "Draft" ja an dieser Stelle nochmals überarbeitet. Dass und wie (schnell) "das Netz" in diesem Fall reagiert, könnte auch für Forscher mit 40-jähriger Erfahrung beeindruckend sein.
1. Sandra (anonymous), Feb 14, 2010 7:11:52 PM #
Danke für die vielen (Er-)Klärungen, Karsten! Gerade für den Hinweis auf die multiplen Rückkanäle bin ich Dir sehr dankbar :-) Liebe Grüße, Sandra
2. Christian Spannagel (anonymous), Feb 14, 2010 9:31:15 PM #
Vielen Dank auch für diesen tollen Beitrag! "Dann würde ich aber eine Beteiligung des Protagonisten an diesem Diskurs erwarten!" - Richtig!! "Vielleicht wird der "Draft" ja an dieser Stelle nochmals überarbeitet." - Es ist kein Draft, sondern der Artikel befindet sich bereits zwischen zwei Buchdeckeln. :-)